7
Larry ging auf ein großes Haus mit einem schönen Garten zu, aber als sie das Grundstück betrat, bellte sie ein großer Schäferhund mit gesträubtem Fell an. Larry ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen; sie sagte etwas — ich bin sicher, daß die Tiere eine eigene Sprache haben und daß Larry sie sprechen kann — und schon glätteten sich die Haare, und das Bellen hörte auf. Dann streckte sie die Hand aus, damit er sie beschnüffeln konnte, wozu er sich auch herabließ, und dann begann er mit dem Schwanz zu wedeln. In der nächsten Minute kniete sie auf dem Rasen und plauderte ganz vertraut mit ihm.
Ich war überzeugt, daß sie es nun geschafft hatte, und schloß die Wagentür, dankbar, daß ich ihr nicht zur Hilfe hatte eilen müssen. Es folgte jedoch Schlimmeres, denn die Haustür wurde aufgerissen, und ein mindestens so wild wie der Schäferhund aussehender Mann stürzte hinaus. Statt sich zu freuen, daß Larry seinen Hund erobert hatte, brüllte er: »Was füttern Sie meinen Hund? Bestimmt Gift. Sie haben also die Hunde hier in der Gegend vergiftet. Ich rufe sofort die Polizei an.«
Der Hund hatte sich umgesehen, als er seine Stimme hörte; jetzt wandte er sich wieder Larry zu. Das schien den Mann in äußerste Wut zu versetzen, und er schrie: »Erzählen Sie mir nicht, daß Sie ihm nichts gegeben haben. Dieser Hund läßt niemanden an sich heran. Sie haben Ihr scheußliches Gift in einem Stück Fleisch versteckt.«
Larry stand völlig unerschrocken auf. »Seien Sie doch nicht albern. Ich habe Ihren Hund natürlich nicht vergiftet. Viel lieber würde ich Sie vergiften.«
Der Mann wurde heftig, hörte aber zumindest auf zu brüllen. Er sagte: »Was soll denn das bedeuten?«
»Genau, was ich sagte. Ich meine, daß ich lieber die meisten Männer als einen Hund vergiften würde, und Ihr Hund ist viel netter als Sie. Außerdem mag ich Hunde ohnehin lieber als Menschen, und sehr viel lieber als Menschen wie Sie.«
Er starrte sie an, wurde aber ruhiger und versuchte, das zu verdauen. Aber er war noch immer unfreundlich. »Na ja, ich gebe zu, daß Sie Glück bei Hunden haben, das ist jedoch kein Grund, mein Grundstück zu betreten.«
»Ich bin nur wegen einer Umfrage hier«, begann Larry, aber er unterbrach sie.
»Noch so eine verdammte Umfrage... Letzte Woche hat mich jemand über Elektrogeräte ausgefragt. Ich will nichts mit Ihnen zu tun haben.«
Ich hätte die Flucht ergriffen, aber Larry bewegte sich nicht von der Stelle. Sie legte nur dem Hund den Arm um den Hals und sagte: »Aber Ihr Hund wohl. Und außerdem geht es nicht um irgendwelches Werkzeug. Es ist schlimmer.«
Er war verdutzt. »Sie haben Nerven — und was meinen Sie mit >schlimmer<?«
»Es kann nicht schaden, gute Nerven zu haben, wenn man jemanden wie Sie trifft«, sagte sie, und ich öffnete die Wagentür. Das konnte der Mann doch nicht hinnehmen. Aber zu meiner Überraschung lachte er und sagte: »Mut imponiert mir. Erst der Hund und dann ich... Wenn Sie glauben, daß ich Ihnen aus der Hand fresse wie der Hund, dann täuschen Sie sich. Aber kommen Sie ’rein. Ich will wissen, um was es geht.«
Sie verschwanden im Haus, ich schloß die Tür wieder und war froh, daß ich dem Schäferhund nicht begegnen mußte. Ich mag Hunde gern, aber ich spreche nicht ihre Sprache wie Larry.
Zwanzig Minuten später tauchte sie mit einem stolzen Lächeln und einer Tüte Stachelbeeren wieder auf. Mann und Hund begleiteten sie, sie verabschiedeten sich sehr freundlich, und Larry versprach, wiederzukommen. Der Mann lächelte noch immer, als wir wegfuhren. Als wir in unserem Cafe saßen, sagte ich: »Wie konntest du nur? Dieser gräßliche Mann... «
»Das war nur Angabe. In Wirklichkeit war er sanft wie ein Lamm.«
»Wie war seine Frau?«
»Nett. Ungefähr einen Meter fünfzig groß und absolut Herr im Haus. Sie nimmt überhaupt keine Notiz von dem, was er sagt, lächelt und meint, daß es eben seine Art sei. Sie entschuldigt sich nicht einmal. Ich mochte sie beide gern, und den Hund fand ich herrlich. Ich hatte großes Glück, heute morgen auf so viele Hunde zu treffen. Das macht den Anfang soviel leichter.«
»Ich finde das nicht besonders leicht, und mir wäre es schrecklich, einem Schäferhund zu begegnen.«
»Ich hatte es nur mit ein paar sanften Spaniels zu tun und ein oder zwei frechen kleinen Terriern. So, jetzt machen wir weiter.« Der Nachmittag war leichter als der Morgen. Ich glaube, wir hatten uns schon daran gewöhnt, an Türen zu klopfen und von Anfang an zu merken, ob es unangenehm oder nett wurde. Insgesamt waren die Leute freundlich und hilfsbereit, sobald sie erfuhren, daß ihre Namen nicht erschienen. Aber sie waren nicht besonders interessant, und als wir uns schließlich nach Hause aufmachten, waren wir müde.
Ich holte meine Kinder bei Larry ab und war dankbar für Tante Kate. Keine Klage, keine Erzählung der Streiche, die sie wahrscheinlich erdacht hatten. Es war genau, wie ich heute schon zu Larry gesagt hatte: »Sie ist phantastisch mit Kindern; mindestens so gut wie du mit Hunden.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung, und ich glaube, wenn ich dazu neigen würde, bekäme ich jetzt Minderwertigkeitskomplexe. Glücklicherweise ist das nicht meine Art. Natürlich hat Tante Kate überhaupt kein Gewissen, wenn es um Kinder geht, so werden wir nie erfahren, wie ungezogen sie waren. Ich glaube zwar nicht, daß sie bei ihr so frech sind wie bei anderen, trotzdem sage ich ihr, daß eine Mutter alles erfahren muß.«
»Was sagt sie dazu?«
Larry lachte. »Daß manche Mütter nur mütterliche Gefühle bekommen, wenn sie neugierig sind. Sie sagt einem alles ins Gesicht und hat nicht die geringsten Skrupel. Es ist trotzdem ein Segen zu wissen, daß sie im Bett sind und gegessen haben, wenn wir nach Hause kommen.«
Larrys Kinder waren im Bett und meine abreisefertig. Ich packte sie ins Auto und fuhr dankbar nach Hause. Tony war da. Sie und Paul waren voller Interesse und Mitgefühl, aber Christopher, für dessen Schuhe ich mich geopfert hatte, äußerte nur den Wunsch, die Nacht bei Tante Kate zu verbringen... Ein Glück, daß ich ebensowenig zur Eifersucht wie Larry zu Minderwertigkeitskomplexen neigte. Paul sagte: »Du bist völlig fertig. Du siehst schlimm aus« — wie immer eine schmeichelhafte Bemerkung. Als er meinen kühlen Blick sah, fuhr er schnell fort: »Es ist nicht richtig, daß du dich so anstrengst. Warum solltest du bei den Leuten an die Hintertür klopfen und dich unfreundlich behandeln lassen?«
»Sie waren nicht unfreundlich. Manche waren am Anfang etwas zurückhaltend, aber nur einer war unverschämt. Er meinte, Alkohol sei die Hölle und ich eine seiner Vorboten«, und ich erzählte ihm von diesem Haushalt und der armen Frau, die sich nach Kosmetikmitteln sehnte. »Was kannst du anderes von einem Burschen erwarten, der sich nicht mal einen genehmigt?« fragte Paul unlogisch. »Aber du hast den Winter über hart gearbeitet; du hast jetzt eine Pause verdient.«
»Und das in meinem Alter«, lachte ich und fügte schnell hinzu: »Liebling, es ist nicht deine Schuld. Du kannst doch nichts dafür, daß es gerade dann kaum Wolle gibt, wenn Christopher zur Schule gehen muß. Es ist einfach Pech. Wir wollen es hinnehmen und darüber lachen, wie wir es in der guten alten Zeit getan haben, von der du so gern sprichst. Wenn es dir nichts ausmacht, ist es mir auch egal.«
Seine Antwort war völlig zufriedenstellend, ich sank ins Bett und überließ ihm und Tony auf ihr ernsthaftes Bitten das Spülen. Wie man uns schon angekündigt hatte, blieb uns zu Hause noch viel Arbeit mit den Formularen, und erst nach mehreren Tagen machten wir uns wieder auf, diesmal in die verschiedenen Landbezirke. Larry sagte fröhlich: »Das wird viel einfacher. Bei den Leuten vom Land wissen wir, wo wir dran sind«; aber Tante Kate sagte mißtrauisch, sie hoffe, wir würden nicht ’rausgeschmissen, wie sie es machen würde, wenn ihr irgend jemand unverschämte Fragen stellte.
Der Gedanke an Miss Fletchers Reaktion, wenn jemand an ihre Tür klopfte, um nach ihren Ausgaben für Schönheitsmittel und Spirituosen zu fragen, belustigte uns beide.
Wieder hatten wir unterschiedliche Bezirke, aber wir nahmen Thermosflaschen mit und verabredeten uns zu einem Picknick um die Mittagszeit, damit wir Erfahrungen austauschen konnten.
Larry sagte: »Da Sonntag ist, müßten wir die meisten Männer antreffen. Du weißt, wie die Farmer sind; sie beschäftigen sich sonntags auf der Farm mit allen möglichen Kleinigkeiten und klagen, daß sie nie einen freien Tag haben.«
Weit von unserer Gegend entfernt begann ich mit meinen Besuchen, und das war gut so. Es wäre unangenehmer gewesen, Bekannte nach Alter und Einkommen zu fragen. Fremde mochten einem etwas übelnehmen, aber man konnte immer weglaufen und denken, was für ein Segen es war, daß man die Leute nie wiedersehen würde.
Das erste Haus sah ziemlich nach Wohlstand aus, und die Frau war gut gekleidet. Sie war jedoch nicht gerade begeistert, als ich meinen Auftrag vorbrachte, und so sagte ich sofort: »Sie haben sicher zuviel zu tun, um sich stören zu lassen. Ich gehe wieder.« Aber die Gastfreundschaft auf dem Lande ist berühmt, und sie sagte ziemlich widerwillig: »Nein, bleiben Sie. Aber Sie werden zugeben müssen, daß ziemlich viele von diesen lästigen Umfragen gemacht werden. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Leute bereit sind, sie durchzuführen.«
Das war einfach zu beantworten, und als sie von den Ausgaben für die Schulsachen hörte, bekam sie sofort Mitleid. Auch sie waren Schaffarmer, hatten jedoch das Glück, einen guten Busverkehr zu einer Oberschule zu haben. »Und das ist schon teuer genug«, sagte sie. »Wenn Ihr Junge ins Internat gehen muß, verstehe ich, daß Sie auf jede Weise versuchen, Geld zu verdienen.« Dann fügte sie ernst hinzu: »Trotzdem sind Sie in einer glücklichen Lage, daß Sie die Kinder wegschicken können. Die Gemeindeschulen sind ja gut und schön, aber in diesen Internaten bekommt ein Mädchen einen besonderen Schliff.«
Zufällig war dies ein Thema, zu dem ich eine feste Meinung hatte, und das sagte ich auch. »Ich kenne viele Jungen und Mädchen, die nie woanders in der Schule waren und trotzdem nett sind und gute Freunde und Manieren haben. Ich würde meine Kinder nicht wegschicken, wenn irgendeine Möglichkeit bestünde, sie so zu unterrichten. Zu Hause zu sein ist viel wichtiger, als sie zu einer Schule zu schicken, wo sie Freundschaften schließen, die sie wahrscheinlich später doch nicht aufrechterhalten. Und der Unterricht ist oft genauso gut.«
Danach kamen wir sehr gut vorwärts. Ihr Mann war zu Hause, und beide gaben mir sehr schnell alle gewünschten Auskünfte. Ihre Angaben für beide Posten waren nicht hoch, und sie erklärten, daß sie ihren Verbrauch so weit wie möglich eingeschränkt hätten, seit die Preise so schlecht waren. Ich erzählte ihnen, daß ich in der vorigen Woche eine Umfrage in den Vororten gemacht hatte, und sie waren erstaunt, was die Leute für diese Nebensächlichkeiten ausgaben. Der Mann sagte verbittert: »Leute, die Löhne bekommen, die können es sich leisten. Wir Farmer sind die armen Teufel.«
Auch hiergegen hatte ich eine Abneigung — dieses Gefühl Stadt gegen Land. Aber ich fürchtete, in diesem Jahr der niedrigen Preise lag in dieser Klage ein Körnchen Wahrheit.
Es waren fast alles bessere Häuser, und obwohl überall in gleicher Weise über die schlechten Zeiten geklagt wurde, hatte ich den Eindruck, daß die meisten Farmer ganz gut lebten. Sicher war nicht viel Bargeld vorhanden, und insgesamt lag das Durchschnittseinkommen wohl unter dem eines Städters, aber sie hatten ihr eigenes Fleisch, die eigene Milch und eigenes Gemüse und hielten sich so über Wasser. Die Pächter von Milchfarmen hatte es hart getroffen, denn der Teil ihres Einkommens war stark gefallen, und viele von ihnen zahlten davon Raten ab. Manche zahlten noch für ihre Kühe und konnten sich kaum einen Luxus leisten. Es war vornehmlich ein Molkereibezirk, kleine und erträgliche Milchfarmen mit ungefähr zweihundert Kühen, auf denen Pächter arbeiteten. Mir fiel auf, wie gut und modern ihre Häuser waren, genauso angenehm wie die der Besitzer selbst. Die Zeiten, als Milchpächter sich mit schlechten Wohnungen zufriedenzugeben hatten, waren offensichtlich vorbei.
Trotzdem gab es einige wenige sehr sonderbare Häuser. Diese gehörten meistens den Leuten, die das Land besaßen; kein Milchpächter hätte sich damit abgegeben. Ich bemerkte einige Häuser, wo die Ställe neu und schön waren, die Häuser jedoch alt und ungemütlich. Das erschien mir am Farmer immer als Zeichen der Selbstsucht und ich war nicht überrascht, einige sehr verbitterte Frauen zu treffen. Sie kämpften sich durch, arbeiteten in schwierigen alten Häusern, während die Männer jede Annehmlichkeit hatten.
»Aber es ist mit allem dasselbe«, sagte mir eine Frau, deren Stimme weinerlich und deren Gesicht unzufrieden war. »Alkohol? O ja, darauf verzichtet er nicht. An jedem Verkaufstag ist er stundenlang in der Kneipe, und abends trinkt er immer etwas.«
Unglücklicherweise kam ihr Mann gerade rechtzeitig, um diese letzte Bemerkung zu hören. Es war ein stattlicher, gutmütiger Mann, freundlich und faul, und er grinste nur. »Nun hör’ schon auf, Gwen«, sagte er. »Du weißt, daß du auch dein Glas Sherry bekommst. Und versuche ich je herauszufinden, wieviel du für die Schönheitsmittel ausgibst, nach denen die Dame fragt?«
»Warum solltest du?« erwiderte sie scharf. »Das geht ja nicht aus deiner Tasche. Es wird von meinem Haushaltsgeld bezahlt, und ich kann nur herzlich wenig für mich ausgeben.«
Völlig vernünftig erklärte er, daß das Haushaltsgeld schließlich auch von der Farm komme, aber sie wiederholte nur, daß sie sich zumindest nicht jedesmal vollaufen ließe, wenn sie in die Stadt gehe. Ich unterbrach sie schnell, indem ich ihn schüchtern nach seiner Einkommensgruppe fragte, und sie hörte mit bitterer Miene zu. »Er wird Ihnen nicht die Wahrheit sagen, nicht solange ich hier bin«, sagte sie. Ich wagte ihr vorzuschlagen, sie möchte uns besser allein lassen.
»Dann kann mir Ihr Mann seine Geheimnisse erzählen, und er wird das Zimmer verlassen, wenn Sie mir Ihre anvertrauen.«
Sie willigte ein, und der Mann stand auf, um die Tür hinter ihr zu schließen. Dann blinzelte er mir zu und sagte: »Das dürfen Sie nicht weitererzählen, ich sage Ihnen jetzt, was die Farm einbringt«, und ich hätte fast bemerkt, es sei kein Wunder, daß er sich seinen Alkohol leisten könne und hoffe, er gebe seiner Frau ein anständiges Taschengeld für sich selbst. Aber das behielt ich natürlich für mich, da ich keinen Missionseifer an den Tag legen wollte. Ich füllte nur ohne Kommentar das Formular aus und hatte noch eine vertrauliche Sitzung mit seiner Frau; dann kehrte ich zum Auto zurück, sehr froh, die Farm verlassen zu können.
Auf einer anderen Farm sagte die Frau ganz freimütig, was sie für ihr Make-up ausgab. Sie war sehr hübsch und sagte, sie gehöre zur Gruppe zwischen fünfunddreißig und fünfzig. Dann wurde sie plötzlich vertraulich und sagte; »Sie sind erstaunt, was ich für Kosmetikmittel ausgebe, nicht wahr? Natürlich ist das bei Ihnen etwas anderes. Sie sind noch jung, aber wenn man fünfunddreißig ist... «
Ich wußte, daß sie älter war, aber ich sagte schnell: »Davon bin ich nicht mehr weit entfernt. Ich bin zweiunddreißig und habe nie auch nur halb so gut ausgesehen wie Sie. Warum sollte man dann nicht etwas für Kosmetik ausgeben? Bei Ihnen lohnt es sich.«
Sie war davon sehr angetan und noch mehr bereit, mir ihre Geheimnisse anzuvertrauen. »Wenn man natürlich einen jungen Mann heiratet, der noch dazu... «, und in diesem Augenblick kam ihr Mann herein. Ich verstand sofort, was sie meinte. Er war ein Adonis, mit dem nur schwer mitzuhalten war. Er schien jedoch mit seiner hübschen Frau sehr zufrieden und gab sein Alter — dasselbe wie meines — bereitwillig preis, ebenso sein Einkommen. Sie waren ein sehr nettes Paar, und ich wünschte, ich hätte ihre Kinder sehen können, die leider nicht zu Hause waren. Bei diesen Eltern mußten sie hinreißende Schönheiten sein.
Ich besuchte mehrere Maori-Farmen, und da gefiel es mir am besten. Vermutlich gibt es auch verdrießliche und abweisende Maoris, jedoch wohl eher in der Stadt, wo sie sich nicht heimisch fühlen, aber an diesem Tag traf ich solche nicht. Sie waren nett und gastfreundlich, lachten herzlich über meine Fragen. »Make-up und Alkohol? Das geht nur den Boss an. Ich schminke mich nicht, höchstens ein bißchen Lippenstift, wenn ich in die Stadt gehe. Ein Make-up würde mich auch nicht hübscher machen, und mein Alter mag mich so, wie ich bin, jedenfalls bis jetzt.«
Das war die erste Maori-Frau, und die anderen waren ziemlich ähnlich. Natürlich waren die jüngeren etwas eleganter und benutzten Shampoo und Puder, aber überall kam mir derselbe freundliche Gruß entgegen, wenn ich anklopfte: »Nur hereinspaziert«, und überall traf ich dieselbe Liebenswürdigkeit an. Sie gaben ziemlich viel für Alkohol aus, aber das hatte ich erwartet, seitdem wir ihnen den Genuß gezeigt hatten. Da sie jetzt mehr Geld hatten, waren sie natürlich wie die Kinder und übertrieben es leicht. Aber sie sagten es so fröhlich und waren so nett zu mir. Überall mußte ich mindestens zwei Tassen starken süßen Tee trinken. Als ich das fünfte Maori-Haus verließ, ging es mir nicht mehr sehr gut.
Insgesamt waren ihre Häuser zwar oft genug unordentlich, aber ziemlich sauber und gemütlich. Natürlich liefen überall halbnackte glückliche Kinder herum; überall gingen Tiere ein und aus, ab und zu legte eine Henne ein Ei auf der baufälligen Veranda. Etwas wirklich Abstoßendes gab es jedoch nicht; ihr Lebensstandard war eben anders als jener der Pakehas.
Aber gerade in einem Pakeha-Haus erlebte ich den größten Reinfall. Es war eine Milchfarm, die ziemlich nach Wohlstand aussah, aber das Haus war gräßlich; eigentlich gar nicht so alt, nur vernachlässigt und dreckig. Einen Garten gab es nicht, und ich balancierte vom Gartentor zur Haustür auf Brettern über den Schlamm. Die Kinder, die herauskamen, um mich anzustarren, waren dreckig, hatten Triefnasen und ungekämmtes Haar. Die Frau kann ich nur als Schlampe bezeichnen. Sie hatte um elf Uhr morgens einen verdreckten Morgenrock an und Lockenwickler auf dem Kopf. Sie war liebenswürdig und merkte überhaupt nicht, wie ich auf das Haus, die Kinder und sie selbst reagierte, wofür ich dem Himmel dankte.
Sie hatte offensichtlich massenhaft Zeit, um sich hinzusetzen und lang und breit zu erzählen, was sie für Kosmetikartikel ausgab, und Angaben über ihr erstaunlich hohes Einkommen und ihr Alter zu machen, das auf den ersten Blick als falsch genannt zu erkennen war. Aber sie war freundlich und machte auf dem Küchentisch eine Ecke für meine Papiere und Formulare frei. Ich hatte gerade alles ausgebreitet, als ein heiserer Schrei erklang, weite Flügel aufgeregt flatterten und ein Truthahn auf dem Tisch landete und mich angurrte.
Nun habe ich Truthühner immer gehaßt, seit mich einer als Kind einmal angegriffen hatte. Erschreckt fuhr ich hoch, um mich selbst, aber noch mehr, um meine kostbaren Formulare zu retten, die wegen des Computers auf keinen Fall beschmutzt, ja nicht einmal gefaltet werden durften. Der Vogel bewegte sich nicht, hob nur seinen häßlichen kleinen Kopf und sah mich frei an. Ich fuhr zurück und schlug mit meinen Papieren um mich, wobei die Frau lachte. »Sehen Sie, wie er durch das Fenster gesegelt ist? Ein kluges Tier, nicht wahr? Und ein schöner Vogel«, mit diesen Worten packte sie den Truthahn, der das nicht übelzunehmen schien, aber jetzt leise gurgelnde Geräusche von sich gab, als sie ihn auf das Fensterbrett setzte.
Das war das schlimmste Haus, das ich besuchte, obwohl die Leute freundlich und alles andere als arm waren. Es erstaunte mich, daß sie mit diesem Leben zufrieden zu sein schienen, denn die Farm war eigentlich recht wohlhabend. Ich erschauderte, wenn ich an den Rahm dachte, der aus diesem Stall kam und an nichtsahnende Menschen verkauft wurde, aber Paul war nicht meiner Meinung, als ich ihm das später erzählte. »Ich wette, wenn du den Stall gesehen hättest, hättest du sicher entdeckt, daß er bei weitem sauberer war als das Haus. Du darfst nicht vergessen, daß die Inspektoren immer ein Auge auf die Milchställe haben. Um die Häuser kümmern sie sich da draußen nicht.«
Larry hatte einen herrlichen Tag verlebt. Natürlich viele Tiere, und sie durfte alles besichtigen, von einem Eselbaby bis zu einem Wurf junger Hunde. »Es war eine reine Wonne. Sie waren alle so nett.«
»Hat sich niemand beschwert?«
»Ein Mann wollte damit anfangen, aber als ich ihm zeigte, wie er mit seinem Pferd umgehen mußte, das sich immer vom Zügel losmachte, wurde er ganz freundlich.«
»Man könnte dich für einen Fachmann halten.«
Sie lachte und meinte stolz, sie wäre bestimmt genauso gut wie die meisten Experten. Wir kamen ungefähr zu derselben Zeit nach Hause, diesmal zu mir, weil sich dort die gesamte Familie unter Tonys und Tante Kates Obhut versammelt hatte. Sie waren offensichtlich ganz glücklich, und Tony war von unseren Erlebnissen ganz begeistert.
»Das muß doch einen Heidenspaß gemacht haben«, sagte sie sehnsüchtig. »Ich wünsche, ich hätte dabei sein können.«
»Gott behüte«, sagte Tante Kate liebevoll. »Und jetzt hoffe ich nur, daß ihr Mädchen daran denkt, daß ihr ein Haus und Kinder habt, und es aufgebt, eure Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken.«
»Ich bin wirklich froh, daß ihr damit fertig seid«, sagte Paul. »Diese ganze Arbeit und Aufregung für ein paar lumpige Dollar.«
»Dollars sind nie lumpig«, sagte Larry fröhlich. »Und außerdem schuldet ihr Männer mir jeder einen Dollar, weil wir nicht einmal ’rausgeschmissen wurden. Ich werde meine Formulare so schnell wie möglich fertig machen und dann mit offenem Mund auf das herrliche Geld warten.«
Ich war erleichtert, daß ich alles hinter mir hatte, und freute mich, Paul etwas zur Ausstattung für die Schule beisteuern zu können, aber ich machte den Fehler, mich an Christopher zu wenden und glücklich zu sagen: »Weißt du, jetzt habe ich genug Geld verdient, um alle deine schönen Schuhe für die Schule im nächsten Jahr zu kaufen.«
Ich erwartete ein kleines Lob oder zumindest ein Lächeln, statt dessen machte er ein finsteres Gesicht und sagte langsam und deutlich: »Zum Teufel mit den Schuhen und zum Teufel mit der Schule«, dann drehte er sich um und rannte aus dem Zimmer.
Ich fühlte mich, als hätte ich eine Ohrfeige bekommen, und einen Augenblick herrschte völliges Schweigen. Dann sagte Larry fröhlich: »Der liebe kleine Junge! In Wirklichkeit sind Kinder einfach ein Fehler. Ich habe das immer gesagt. Du bist schuld, weil du angefangen hast.«
»Ich bin schuld?« Über den Fehler war ich mit ihr einverstanden, aber ich verstand nicht, warum es meine Schuld war.
»Doch, hättest du Christopher nicht bekommen, wäre ich nicht blind mit Christina gefolgt. So haben wir uns daran gewöhnt, und jeder gleich noch ein Kind bekommen.«
Ich versuchte zu lachen, aber es wollte mir nicht richtig gelingen. Ich sagte langsam: »Er hat mich angesehen, als würde er mich hassen, und ich dachte, er würde sich freuen.«
Jetzt ergriff Tante Kate das Wort, unmißverständlich und klar: »Sich freuen? Warum sollte er sich freuen? Versuche doch einmal, vernünftig zu sein, Susan.«